„Die Kunst zu interpretieren liegt allein darin, einen persönlichen Bezug zum Text herzustellen“
Persönlicher Zugang zur Abitur-Pflichtlektüre „Agnes“ durch ein Gespräch mit dem Autor Peter Stamm
Der Roman „Agnes“ des Schweizer Autors Peter Stamm zählt zu den Pflichtlektüren für das Abitur an baden-württembergischen Gymnasien. Im Rahmen der Unterrichtseinheit bot sich der Klasse 11d im November 2014 die Möglichkeit, den 52-jährigen Schriftsteller bei einer Lesung persönlich kennen zu lernen und über die Entstehungsgeschichte wie auch über Interpretationsmöglichkeiten des Textes zu diskutieren. Hierfür reiste die Klasse gemeinsam mit ihrer Deutsch-Lehrerin Frau Schauer nach Heidelberg. Peter Stamm eröffnete den Nachmittag mit einer Lesung aus den Kapiteln 18 und 19, mit welchen ein entscheidender Wendpunkt im Roman eingeleitet wird und die sogleich eine Diskussion zwischen Autor und Schülern anregte. Zentral aber blieben Fragen über das offene Ende des Romans und das Schicksal der namensgebenden Hauptfigur: „Ist Agnes tatsächlich tot?“. „Das Ende des Romans“, entgegnete der Autor, „muss jeder selbst für sich interpretieren. Als ich mit meiner Arbeit an »Agnes« anfing, war ich mir noch sicher, dass sie tot sei. Nun aber muss ich gestehen, dass ich nicht mehr weiß als der Ich-Erzähler selbst.“ Zugleich sei es wichtig, betonte Stamm, „einen persönlichen Bezug zum Text herzustellen, denn allein darin liegt die Kunst zu interpretieren“. Ob man hingegen bei der Interpretation etwa auch die Gestaltung des Roman-Covers zu berücksichtigen habe, beispielsweise jener derzeit im Handel erhältlichen Fischer-Taschenbuchausgabe, verneinte er: Die Wahl des Covers, gewährte der Autor Einblicke in die Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte des Romans, sei hier nach rein ästhetischen Gesichtspunkten getroffen worden, „mir hat die Fotografie gut gefallen“. Interpretation, so Stamm, befasse sich allein mit dem Text, und hierbei sei weniger die Umschlaggestaltung eines Buches von herausragender Bedeutung, sondern Text- und Handlungsdetails wie beispielsweise die Namensgebung von Figuren. Der Name „Agnes“ etwa sei ihm durch die Lektüre eines romantischen Gedichts von John Keats aufgefallen, aber erst nachdem er sich über die Bedeutung informiert habe, kam ihm die Idee zur literarischen Figur „Agnes“.
Nach dem offenen, mithin freundschaftlichen Gespräch ließ es sich Peter Stamm nicht nehmen, das Roman-Exemplar eines jeden Schülers zu signieren und fand gelegentlich noch Zeit für ein persönliches Wort. Für die Schüler der Klasse 11d eröffnete die Begegnung mit dem Autor die Möglichkeit, sich der Abitur-Pflichtlektüre auch außerhalb vom Schulalltag und im direkten Kontakt mit dem Autor anzunähern.
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